THE GOLDEN MARY

Reederin Marie Nauheimer gelingt alles - wie den Generationen vor ihr. Die Chefin der Frankfurter Primus-Linie, Hessens größtes und modernstes Schifffahrtsunternehmen, nahm uns mit auf eine exklusive Lunch-Tour auf dem Main. Dabei ging es um Familie, Feste und Finanzen.

Eiserner Steg. Es schüttet. Regen, Regen. Das kann einen Seemann aber nicht erschüttern. Erst recht nicht Flussschifffahrts-Reederin Marie Nauheimer. "Auch bei schlechtem Wetter ist die Skyline vom Fluss aus toll anzusehen", weiß sie. Die attraktive Frankfurterin, Spross und Kopf des traditionsreichen Familienunternehmens, begrüßt uns in High Heels, mit denen sie beneidenswert gekonnt über die kleine Rampe in die "Wikinger", eines ihrer Schiffe, die wie Perlen am Ufer gereiht liegen, steigt. Mit von der Partie ist ihr drei Monate alter Sohn, tief schlummernd im Kinderwagen. In der Familie Nauheimer ist man früh auf dem Wasser. Marie Nauheimer und ihr Bruder wurden auf einem Schiff getauft, und auch beim jüngsten Familienzuwachs ist das so geplant.
Ein Schiff wird immer von einer Frau getauft - und die Flasche muss zerschellen. Sonst bringt das Unglück. Dr. Marie Nauheimer

RIVER TRIP

Leinen los! Ab jetzt gibt der Schiffsmotor leise diesen besonderen nautischen Herzschlag vor. Gemütlich zieht die Mainmetropole an uns vorbei und prahlt mit ihren Attraktionen. In der Ferne hält die "Nautilus", auch ein Schiff der Primus-Linie, Kurs in Richtung Osthafen, auf den Decks kommen Schulklassen und Ausflügler aus dem Staunen nicht mehr heraus. Ein vertrautes Bild, auf das die Reederin während des Fahrverbots aufgrund der Corona-Pandemie lange verzichten musste. Das Doppeljubiläum 2020 - 140 Jahre Frankfurter Personenschifffahrt und 45 Jahre Primus-Linie - fiel deswegen etwas ins Wasser.

Dennoch: "Wir hatten Glück, dass unser Unternehmen schon so lange gesund existiert und auch künftig auf stabilen Beinen steht. Im Jubiläumsjahr hatten wir 70 Prozent Umsatzrückgang zu verkraften. Der blühende internationale Tourismus der letzten Jahre fehlte, ebenso private Feste und Firmenfeiern an Bord." Im Sommer entdeckten viele Frankfurter "ihre" Flotte wieder, freut sich die Unternehmerin. "Der Urlaub Zuhause hat auch unser Angebot wieder attraktiver gemacht. Familienfahrten sind beliebt und es kommen mehr Schulklassen als in den Vorjahren."

GRANDFATHER KNOWS BEST

Mit Schiffen in der Familie aufzuwachsen prägt. Für Kinder ist das ein Abenteuer. Geburtstage an Bord und ein bisschen das "Auf große Fahrt"-Gefühl. "Meine beiden Töchter gehen gern ins Steuerhaus und die Ältere mit ihren zehn Jahren hat auch schon mal 'gelenkt'. Mir wurde gesagt, dass sie ein besseres Gefühl dafür habe als ich", lacht die stolze Mama. Sie selbst hat als Kind ihren Großvater und Vater am Schiffssteuer erlebt, anfangs nutzte man noch das Fernglas für den Weitblick, was inzwischen ein Radarsystem übernimmt.

"Mein Großvater stand damals an einem riesigen Steuerrad aus Holz, das liebte ich." Dem Großvater war es auch zu verdanken, dass nach dem Zweiten Weltkrieg der Betrieb rasch wieder aufgenommen werden konnte. Denn kurz vor dem Einmarsch der Alliierten rettete er sein Schiff, die "Vaterland", indem er es am Schwanheimer Ufer versenkte. "Vorher hatte er alles Wichtige rausgeholt, auch die Fenster. Nur einen Tag später wurde die Alte Brücke, unter deren Schutz das Schiff zuvor lag, zerstört. Nach Kriegsende wurde die 'Vaterland', wieder gehoben und instandgesetzt", erinnert die Enkelin an die kühne Tat. Wir fragen, ob nicht ein Raddampfer, wie der mit dem Gründer Peter Nauheimer im Jahr 1880 antrat, eine feine Attraktion für die Mainstadt wäre. Fein, aber wirtschaftlich nicht rentabel und außerdem enorm wartungsaufwändig, erfahren wir. Schade eigentlich.

FRESH WIND

Gefragt habe sie der Vater, aber nicht gedrängt. "Wäre ich nicht in den Betrieb eingestiegen, hätt er sich nach einem externen Nachfolger umschauen müssen. Mein Bruder hatte andere Pläne. Die Primus-Linie wäre über kurz oder lang wahrscheinlich verkauft worden." Nach bald zehn Jahren an der Spitze hat die promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin längst bewiesen, dass ihre Entscheidung goldrichtig war. Sie hat neue Ideen entwickelt, so stieg sie mit Volldampf in die Klasse der Gourmet-"Kreuzer" auf, und konnte tatkräftig, auch in männerstarken Reihen und Berufsorganisationen, überzeugen. Ihr Führungsstil? "Kommunikativ, offen, zuhörend und lösungsorientiert. Mir geht es darum, Visionen, die das Unternehmen voranbringen, dem Team authentisch zu vermitteln und vorzuleben."

Back to the Roots - aber mit dem in der Ferne gesammelten Wissen und den Erfahrungen. Mit ihrem Mann, einem Projektentwickler in der Immobilienbranche, und den Kindern lebt sie in Sachsenhausen, wo sie auch geboren und aufgewachsen ist. In ihrer Welt ist eine Schiffsfahrt auf dem Main keine spießige "Butterfahrt", sondern ein Rundumerlebnis, das entsprechend zelebriert wird, etwa mit Charter-Fahrten, DJ-Partys, Märchen-Theater, Krimi- und Grusel-Dinner sowie Menüs und Büffets, die den Vergleich mit Fine Dining-Restaurants nicht scheuen müssen. Die Zeiten der Bockwurst-Gastronomie sind vorbei. Und auch wir schlemmen bei einem köstlichen Drei-Gänge-Menü, während der Doppelturm der Europäischen Zentralbank und viele andere "Leuchttürme" der Stadt grüßen.

WHERE THE CRAWDADS SING

"Früher war ich viel Tauchen, heute sieht man mich eher beim Laufen oder Pilates und Skifahren. In meiner Kindheit fuhren wir im Winter immer in den Skiurlaub, da der Sommer für uns Hochsaison ist." Ans Wasser zieht es sie auch im Urlaub, "am liebsten die großen europäischen Seen, etwa Gardasee oder Comer See." Nie schlafe sie abends ein, ohne in einem Buch gelesen zu haben. "Meist englischsprachige. Aktuell ist es der Roman 'Der Gesang der Flusskrebse' von Delia Owens, ein Geschenk von meinem Mann." Natürlich, diese Geschichte spielt am Wasser. Ihr Mann hat Gespür für das, was ihr gefällt. Kurz bevor die "Wikinger" wieder am Eisernen Steg anlegt, wagt sich die Sonne doch noch durch die Wolken. Und Marie Nauheimers Baby wird wach, nachdem es der Wellengang so lange sanft durchgeschaukelt hat. Sein Vorname bedeutet "der Glückliche". Glücklich wird der Junge bestimmt auf dem Main, das liegt einfach in dieser Familie. Zu guter Letzt: Was wäre wenn? "Wenn ich die Nachfolge nicht angetreten hätte, würde ich heute wohl im europäischen Ausland leben. In England habe ich mich sehr wohl und heimisch gefühlt. Sicher würde ich genauso frei gestaltend arbeiten wie heute, in einem Großkonzern oder in der reinen Theorie habe ich mich nie gesehen."